Montag, 6. Dezember 2010

Subjektives Sicherheitsgefühl bremst Unternehmenssicherheit

Unser Sicherheitsgefühl entspricht nicht immer der tatsächliche Bedrohung

Führungskräfte befinden sich auf ihrer Position, weil sie besondere Qualifikationen und Eigenschaften haben. Uneingeschränktes Positiv-Denken und ein unerschütterlicher Glauben an die eigenen Fähigkeiten sind für die Entstehung von angemessenem Risikobewusstsein allerdings eher hinderlich und führen leider oft zu einer Sicherheitsphilosophie der Ignoranz.

Theoretisch gibt es Arbeit für Heerscharen von Coachs im Sicherheitsbereich, praktisch ist die Ursache seiner Notwendigkeit sein größtes Hindernis. Denn die eigentliche Zielgruppe, die Unternehmensleitung, die die Verantwortung für die Sicherheit im Unternehmen trägt, ist letztlich gleichfalls vom Virus der illusionären Sicherheit befallen. Ihr persönliches Sicherheitsgefühl ist prägend für die Qualität des Sicherheitsmanagements. Allerdings hat die gefühlte Sicherheit in vielen Fällen überhaupt keine objektive Berechtigung und der Mensch wird selbst zum Risiko. Denn Unternehmenssicherheit wird in kleinen  und mittleren Unternehmen oft gar nicht als Aufgabe erkannt. Sicherheitsprobleme werden nicht wahrgenommen, da die Kontrollmechanismen fehlen. Darüber hinaus werden Sicherheitsmaßnahmen nur als unnützer Kostenfaktor und nicht als Wertschöpfungsbeitrag gesehen.
Somit gibt es auch nicht das sichere Unternehmen, sondern Sicherheitsmanagement in einer bestimmten Qualität.

Freitag, 3. Dezember 2010

Das Titanic - Syndrom

nicht die Titanic - aber schön
Titanic-Syndrom -  hört sich an wie eine Krankheit. Und diese Assoziation  ist beabsichtigt. Denn es gibt eine Ursache, es gibt Symptome und möglicherweise ein schreckliches Ende.
Worum geht es? Jederzeit können Ereignisse eintreten, die sich bei ungünstiger Konstellation zu einer Krise entwickeln können. Das Verhalten der betroffenen Menschen führt häufig dazu, das aus dieser Krise eine Katastrophe wird.
Dies gilt im Großen, zum Beispiel  bei dem Titanicunglück, aber genauso im Kleinen, vielleicht bei einem Unfall in Ihrem Haushalt. 
Warum kommt es immer wieder zu Katastrophen und was kann man dagegen tun?
Eine wichtige Frage, die uns alle angeht.
Die Titanic dient hier als Präzedenzfall, denn jeder von Ihnen kennt ihre Geschichte, hat vielleicht den Hollywood-Film gesehen und hat die Bilder noch vor Augen.
Wenn ich Sie jetzt gleich an Bord der Titanic entführe (keine Angst  - Sie werden keine nassen Füße bekommen) werden Sie bemerken, es hätte nicht zu einer derartigen Katastrophe kommen müssen.
Katastrophen sind eine schreckliche Angelegenheit, aber – man kann aus ihnen lernen – jeder Einzelne für das tägliche Leben.


1907 hat sich ein erfahrender Kapitän folgendermaßen geäußert:
„Wenn mich jemand fragt, wie ich am besten meine Erfahrungen aus 40 Jahren auf hoher See beschreiben würde, so könnte ich diese Frage lediglich mit unspektakulär beantworten. Natürlich gab es schwere Stürme, Gewitter und Nebel, jedoch war ich nie in einem Unfall verwickelt, der es wert wäre, über ihn zu berichten.
Ich habe während dieser langen Zeit kaum ein Schiff in Not gesehen noch bin ich selbst in Seenot geraten oder habe mich sonst in einer misslichen Lage befunden, die in irgendeiner Form drohte, zum Desaster zu werden.“
Klingt ja eigentlich ganz entspannt.
Man könnte meinen, die Seefahrt ist eine richtig sichere Angelegenheit, ohne nennenswerte Risiken.
Wenn ein Kapitän mit 40 Jahren Berufserfahrung sich derart äußert, wird er sich sicher fühlen, wenn er auf der Kommandobrücke seines Schiffes steht. Er wird jede Situation im Griff haben.
Ich werde im Verlauf meines Artikels auf diese Äußerung zurückkommen, sie wird dann in einem anderen Licht erscheinen.

Die „unsinkbare Titanic“

Stellen Sie sich vor, wir befinden uns im Jahr 1912. Es ist der 14. April. Als  Zeitreisende haben wir uns gegen 23:40 Uhr zu einem Gruppenausflug auf der Titanic eingefunden – keine Angst alles rein virtuell, alles andere währe viel zu gefährlich. Wir bekommen gerade noch mit wie der Ausguck  dreimal die Alarmglocke läutet, gleichzeitig merken wir wie das Schiff ein Backbordmanöver fährt.
Wir schauen voraus und können trotz der Dunkelheit einen  riesigen Eisberg erkennen.
Da wir die Geschichte kennen, wissen wir, das Schiff schafft es nicht, es kann nicht mehr ausweichen.
Die Titanic kollidierte bei voller Reisegeschwindigkeit ungebremst mit ihrer vorderen Steuerbordseite mit dem circa 300.000 Tonnen schweren Eisgebilde.
Sie versank zwei Stunden und 40 Minuten nach dem Zusammenstoß im Nordatlantik.
New York erfuhr am Morgen des 15. April von der Katastrophe. Die Morgenzeitungen berichteten zunächst nur, dass die Titanic mit einem Eisberg kollidiert sei. Journalisten, Familienangehörige und Freunde stürmten das Büro der Reederei, deren Sprecher beschwichtigten; erst die New York Times sprach das schier Unfassbare aus: „Die Titanic ist gesunken.“
Es war tatsächlich kaum zu glauben:  Das Schiff galt als ein Wunder der Technik und wurde aufgrund der vollautomatischen Wasserschutztüren zwischen den 16 wasserdicht abschottbaren Abteilungen von der Presse und der Reederei als „praktisch unsinkbar“ bezeichnet.
Die eigentliche Katastrophe, der Tod von vielen Menschen, hätte verhindert werden können. Trotz ausreichender Zeit zur Evakuierung starben cirka 1.500 von 2.200 der an Bord befindlichen Personen.
Ein wesentliches Problem war die geringe Anzahl der Rettungsboote. 2200 Personen standen 1.178 Plätze in Rettungsbooten zur Verfügung.

Kaum vorstellbar die Tatsache, dass  lediglich 705 Plätze in den Booten genutzt wurden. Allein diese Zahlen sprechen dafür, dass die Evakuierung ein einziges Desaster war. Es gibt viele Detailinformationen zum Verlauf des Ausbootens, die das bestätigen und vermuten lassen, dass man bis zu dem Zeitpunkt des Zusammenstoßes von der  Unsinkbarkeit der Titanic überzeugt war.
(Hier muss ich mich eigentlich revidieren – es gab auch nach dem Zusammenstoß viele Menschen, die davon überzeugt waren – auch das erschwerte die Evakuierung, viele wollen anfangs gar nicht in die wackligen Boote, wollten die sichere Titanic nicht verlassen)     Die Möglichkeit einer Katastrophe wurde nicht in Betracht gezogen.



Die Gegenwärtigkeit der Katastrophe


Beschäftigt man sich näher mit dem Unglück  dieses Schiffes, stellt man fest: Es hätte nicht  zu einer Katastrophe in diesem extremen Ausmaß  kommen müssen. Untersucht man andere Katastrophen (und es gibt leider viel zu viele Beispiele), kommt man oft zum gleichen Ergebnis. Häufig gibt es Anzeichen einer Gefahr, die missachtet oder gar nicht wahrgenommen werden. Kommt es dann zu einem Schadensereignis,  sind die Betroffenen unvorbereitet und reagieren falsch und aus einer Krise entwickelt sich eine Katastrophe.  Dieses Verhalten kann man immer wieder beobachten. Selten mit derart dramatischem Ergebnis wie bei dem Titanic-Unglück, aber meist mit einschneidenden Folgen für die Betroffenen.

Die Ursache für das tragische Ende der Titanic bestand letztendlich in dem Verdrängen der latenten und permanent vorhandenen Möglichkeit des Eintretens eines Schadensereignisses mit der Tendenz zur Krise.
Die Möglichkeit für das plötzliche und überraschende Eintreten eines Ereignisses ergibt sich aus der Vielschichtigkeit unserer natürlichen und technischen Umwelt. Stabile Prozesse sind nur ein momentaner, zeitlich begrenzter Zustand und sie können jederzeit von einem chaotischen Zustand unterbrochen werden. Wir können uns nicht auf lineare Entwicklungsverläufe verlassen und müssen damit rechnen, mit unvorhergesehenen Auswirkungen und überraschenden existenziellen Bedrohungen konfrontiert zu werden.
Jederzeit können wir uns in Situationen wieder finden, die wir so nur aus den Medien kennen - extreme Naturereignisse – tagelang ohne Energieversorgung - Menschen, die plötzlich zur Gefahr werden, weil sie psychische Belastungen nicht mehr aushalten. Es ist falsch zu glauben, es trifft immer nur die Anderen, es kann auch uns treffen. Es sind nicht immer nur die anderen Unternehmen, deren Know-how gestohlen wird oder deren Werkhalle abbrennt. 
Gibt es keine Akzeptanz für die Möglichkeit eines abrupten Zustandswandels, gibt es auch keine Anstrengungen die Welt um uns herum sicherer zu gestalten.

Es stellt sich die Frage, woraus resultiert ein Verhalten, das die Menschen daran hindert, sich auf Gefahren einzustellen?


Um diese Frage noch zu verstärken ein Blick auf die Sicherheitssituation in den Unternehmen: Da gibt es die enorme Abhängigkeit von störungsfreien Prozessen, die gestiegene Verwundbarkeit, die hohe Wertekonzentration und letztendlich den Erfolgsmotor Innovation mit dem damit verbundenen hohen Schutzbedarf. 

Anstrengungen, die Sicherheit zu verbessern, müssten eigentlich allgegenwärtig sein. Aber die Entwicklung der Unternehmenssicherheit, zumindest in den kleinen und mittelständischen Unternehmen, entspricht nicht dieser Notwendigkeit. Professionelles Sicherheitsmanagement ist in den wenigsten Unternehmen existent.
Warum wird also so wenig für die Sicherheit getan?

Diese Frage gilt natürlich nicht nur für Unternehmen, sie betrifft uns alle.
Auch eine Familie kann man als kleines Unternehmen betrachten. Auch hier braucht es so etwas wie Sicherheitsmanagement bis hin zum Notfallmanagement.
Da geht es um den sicheren Schulweg der Kinder, der Sicherheit im Haus – vom Rauchmelder, Feuerlöscher bis hin zum sicheren Türschloss und selbst Datenschutz ist ein wichtiges Thema.

Aber auch hier wird erstaunlich wenig für die Sicherheit getan. Dabei sagen Psychologen dem Menschen ein großes Sicherheitsbedürfnis nach.

Symptome der Unsicherheit  

Wenn man aufmerksam durch die verschiedensten Unternehmen und Institutionen geht, trifft man immer wieder auf Schwachstellen.
Man  sieht Brandschutztüren, die schon lange nicht mehr richtig schließen oder sogar mit einem Keil fixiert sind. Fluchtwege, die verstellt sind und Brandlasten, die unter Treppen lagern, die als Fluchtweg dienen.
Fremde können sich ungehindert im Unternehmen bewegen, ohne dass sie angesprochen werden. Es gibt keine umfassende Notfallplanung, keinen gut trainierten Krisenstab und keine regelmäßigen Evakuierungsübungen.

Diese beispielhaften Schwachstellen könnte man auch als Symptome eines Syndroms bezeichnen, vor allem wenn mehrere von ihnen gleichzeitig auftreten. 
Die verschiedenen Symptome eines Syndroms haben eine gemeinsame Ursache. Die Ursache des „Titanic-Syndroms" ist das Nicht-Anerkennen der latenten und allgegenwärtigen  Möglichkeit einer Katastrophe.

Sicherheit durch Bewusstseinswandel


Die Symptome des „Titanic-Syndroms“ können in allen Bereichen unseres Lebens gefunden werden. Das Titanic-Syndrom ist also weit verbreitet und kann als Schlüsselproblem bezeichnet werden.
Albert Einstein sagt man den Satz nach: „Kein Problem kann durch das selbe Bewusstsein gelöst werden, das es kreiert hat“.
Folgt man diesem Gedanken, muss geschlussfolgert werden: Erst eine Änderung unseres Bewusstseins macht die Lösung des Problems „Titanic-Syndrom“ möglich. Diese Änderung des Bewusstseins muss von der Erkenntnis, dass Sicherheit ein fragiler Zustand ist und die Möglichkeit eines plötzlichen Zustandswechsels permanent vorhanden ist, ausgehen. Haben wir diese Erkenntnis, sind wir in der Lage, ein Bewusstsein für Risiken zu entwickeln und bemerken, dass die gefühlte Sicherheit oft nur eine gefährliche Illusion ist, entstanden aus einem Mangel an Informationen

Wenn es um Sicherheit geht, sind das uneingeschränkte Positiv-Denken und der unerschütterliche Glaube an die eigenen Fähigkeiten eher schädlich. Denn oft ist dies mit dem Streben verbunden, die Möglichkeit unerwarteter, krisenhafter Ereignisse zu verdrängen oder zu verleugnen. und führt oft zu einer Sicherheitsphilosophie der Ignoranz.

Es geht nicht darum, ein ständiges Angstgefühl zu entwickeln, sondern ein Gefühl der entspannten  Achtsamkeit für die Vielschichtigkeit unserer Umwelt und einer daraus entwickelten Vorsicht und Vorsorge.

Schauen wir uns unter diesen Gesichtspunkten noch einmal die Äußerung des Kapitäns aus dem Jahr 1907  an. Der wie Sie sich vielleicht denken können kein  Anderer als der spätere Kapitän der Titanic  ist. Wie wir wissen erlebte er das Desaster einige Jahre später, als er mit seinem Schiff, der Titanic, im Nordatlantik versank.

Unser Bewusstsein wird von Ereignissen geprägt, die uns unmittelbar betreffen. Unser Leben verläuft aber meistens genauso unspektakulär wie die des Kapitäns vor der Katastrophe. Ohne direktes Erleben sind wir nicht sensibilisiert für mögliche Schadensereignisse. Menschen, die in einer dauerhaften Krisensituation leben,  entwickeln die notwendige Aufmerksamkeit. Wir leben in einer Zeit, in der Schadensereignisse punktuell auftreten und wir vom eigenen Erleben dieser Ereignisse verschont bleiben. Es ist notwendig, auch ohne das Erleben dramatischer Ereignisse, ein ausgewogenes Risikobewusstsein zu entwickeln, das uns hilft, derartige Ereignisse zu verhindern oder abzuschwächen. Zumal tendenziell die Wahrscheinlichkeit, das uns Schadensereignisse treffen, größer wird. So sagen zum Beispiel Meteorologen für die kommenden Jahre eine weitere Steigerung der Anzahl von Naturkatastrophen und höhere durch sie verursachte Schäden voraus.


Krise mit gutem Ausgang

Stellen wir uns vor, die Verantwortlichen für das Projekt Titanic hätten nicht aus einem Gefühl der Illusionären Sicherheit gehandelt, sondern mit voll entwickeltem Risikobewusstsein.
Aus dem Unglück wäre keine  Katastrophe geworden und die New York Times hätte dann vielleicht getitelt:
„Titanic gesunken – alle Passagiere gerettet“
Denn es wären dann Rettungsboote in ausreichender Zahl vorhanden gewesen und es wäre eine geordnete Evakuierung erfolgt.
Möglicherweise wäre der Kapitän auch nicht mit voller Reisegeschwindigkeit in das Eisfeld gefahren, sondern mit angepasster Geschwindigkeit, die ein Ausweichen ermöglicht hätte.


Das Fazit

Für uns alle ist es also wichtig, Risikobewusstsein zu entwickeln, denn wir tragen Verantwortung für uns und unsere Familie. Besonders sind diejenigen gefordert, die eine außergewöhnlich hohe Verantwortung tragen, beispielsweise für ein Unternehmen. Sie sind in der gleichen Position, wie der Kapitän der Titanic, verantwortlich für die Erreichung des Zieles und für die Menschen an Bord.
Es gibt zahlreiche gute technische Sicherheitslösungen und Dienstleistungen. Die werden aber nur dort Anwendung finden, wo man ihre Notwendigkeit erkennt, weil das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist. Es ist also auch eine Aufgabe der Sicherheitsbranche sich dem „Titanic-Syndrom“ zu stellen und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Insgesamt ist das Titanic-Syndrom eine Herausforderung für uns alle. Man kann dieses Problem natürlich nennen wie man will, aber man muss sich damit auseinandersetzen, denn „Sicherheit kommt durch Menschen zustande oder überhaupt nicht“.